Es gibt keinen deutschen Obama (welch Glück!)

"Freiheit
und Brot! ham die jesacht. Die Freiheit konnte man jleich mitnehm –
det Brot hatten se noch nich da."

Kurt
Tucholsky, Ein älterer, aber leicht besoffener Herr,

Die
Weltbühne, 09.09.1930, Nr. 37, S. 405

 

Barack Obama versteht es, linken Wählern rechte Politik anzudrehen.

Seit
einiger Zeit wird in den deutschen Medien das Phänomen Barack
Obama gelobt. Er verstehe es, die Menschen endlich wieder für
Politik zu begeistern, was den deutschen Politikern nicht so recht
gelinge. Damit ist das Phänomen Obama aber nur ganz
unvollständig beschrieben.

 

Warum
begeistert man sich in Deutschland nicht für Politik? Na, weil
es keinen Anlaß zur Begeisterung gibt! Die Wirtschaft (soweit
sie die Bevölkerung betrifft) ist im Arsch. Das Sozialwesen wird
demontiert, das Bildungswesen wird dem maroden US-amerikanischen
Modell angepaßt (d.h. verteuert und verblödet). Und wie
reagieren die Politiker der großen "Volks-" (sprich
"Wirtschafts-")parteien darauf? Entweder profilieren sie
sich als Sozial-Maulhelden, die große Sprüche klopfen,
ohne wirklich etwas zu tun, oder sie wirken aktiv auf die
Verschärfung des Problems hin. Wer angesichts dieser Lage Anlaß
zur Begeisterung sieht, ist entweder realitätsfremd oder
Konzernherr.

Das
ist in den USA auch nicht anders. Bereits über 4.000 US-Soldaten
und über 1,2 Millionen Iraker sind am imperialistischen
Größenwahn des Nationalgardeleutnants gestorben. Kaum hat
man die Gleiwitzmeldungen über den Irak als Lügen entlarvt,
erscheinen neue Gleiwitzmeldungen über die "iranische
Gefahr", die – wie die erfundenen Massenvernichtungswaffen
Saddam Husseins – allen Tatsachen zum Trotze weder von Medien noch
von Politik in Frage gestellt werden. Ausnahmegerichtsbarkeit,
Stasitaktik gegen Oppositionelle aller Couleurs und Folter zeugen von
einer Außerkraftsetzung des Rechtsstaatsgedankens, die
Demokraten wie Republikaner gleichermaßen zu verantworten
haben. Der Lebensunterhalt von Millionen wird von deregulierten
Spekulanten verzockt (dafür werden sie jetzt auch noch staatlich
belohnt!).

Was
tut die mutmaßliche Opposition? Sie äußert
vorsichtige Kritik, und stimmt letzten Endes DAFÜR!

Was
hat es – angesichts dieser Gesamtzusammenhänge – mit dem
Phänomen Obama auf sich?

Richtig
hieße die eingangs erwähnte Beschreibung: Obama versteht
es, mit leeren Phrasen Menschen für die Politik zu begeistern,
ohne den geringsten Anlaß zur Begeisterung zu liefern.

Im
Wahlkampf geben amerikanische Politiker zweierlei Versprechen ab:
Versprechen gegenüber den Wählern und Versprechen gegenüber
den Geldgebern aus der Herrscherschicht. Darin ist Obama ein Großer.
Den Wählern sagt er, er sei gegen den Krieg, gegen die
bushewistische Plutokratie und für Menschenrechte und soziale
Gerechtigkeit. Den Geldgebern im Finanz- und Telekommunikationswesen
und in der Kernkraftindustrie sagt er, er sei für den Endsieg,
für die Atomkraft, für den militaristischen Unilateralismus
und für den sog. freien Handel (sprich: die Freizügigkeit
des Kapitals). Vor den Geldgebern beschimpft er die Gewerkschaften
als "Interessenverbände" und lobt die rechtsextreme
Politik der Reaganiten. Da erklärt er sich zum Gegner einer
nationalen Krankenversicherung, weil diese nicht im Interesse der
Versicherungsbranche liege.

Den
Wählern verspricht er nach gut Bismarck’scher Art "ein paar
Tropfen socialen Oels", den Geldgebern verspricht er
steigende Gewinne.

Welche
Versprechen werden sich wohl am ehesten einlösen lassen? Na,
welche wohl?

Der
politische Hellseher Kurt Tucholsky läßt seinen älteren,
aber etwas besoffenen Herrn
von der SPD sagen: "
Ick
werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein
beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß
janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig
fier einen selbständjen Jemieseladen!"

Damit
ist das Phänomen Obama meines Erachtens ganz zutreffend erklärt.