Der Konzertpianist Anton
Kuerti sagte neulich: “Wegen des Verhaltens Israels schäme ich mich, Jude zu
sein.”
Meinerseits halte
ich nicht viel davon, auf etwas, was man schon von Geburts wegen ist, stolz zu
sein (bzw. sich dessen zu schämen). Darauf, daß ich US-Bürgerin und Jüdin bin,
bin ich nicht stolz, und ich schäme mich dessen auch nicht. Beide Eigenschaften
habe ich nur rein zufällig durch meine Geburt.
Kuertis Erklärung
erinnerte mich jedoch an einen häufig zitierten Spruch aus Wallace Markfields
Roman You Could Live if They Let You: „Sie sollen sich niemals, niemals,
niemals, schämen, jüdisch zu sein. Es reicht schon völlig aus, daß ich mich
schäme, daß Sie Juden sind.” Das Verhalten Israels – mit dem ich persönlich
ebensowenig zu tun gehabt habe wie mit der Tatsache, daß ich Jüdin bin – bietet
mir keinen Anlaß, mich meiner Herkunft zu schämen; doch schäme ich mich – oder vielmehr:
es kotzt mich an – daß ich diese Herkunft mit Menschen wie Zipi Livni, Ehud Barak, Ehud Olmert, Alan Dershowitz, Joe Lieberman, Thomas Friedman
und den übrigen israelischen Verbrechern und deren medialen und akademischen Apologeten
teile.
Um manche der Menschen,
mit denen wir unsere Herkunft teilen, kann man uns Juden kaum beneiden (obwohl das natürlich nicht nur auf uns zutrifft). Wir werden
jedesmal daran erinnert, wenn wir im Fernsehen sehen, wie wir von Gangstern (Peres,
Olmert, Livni, Scharon, Kissinger), Schleimern (Friedman), Ganoven (Madoff), Lügnern
(Foxman) oder Rundum-Schmocks (Dershowitz, Lieberman) vertreten werden. Wir
sollten ein für allemal zugeben (wenn auch nur im vertrauten Kreise), daß es
kein schöner Anblick ist. Eigentlich ist es sogar verdammt deprimierend, die heutzutage
bekanntesten Angehörigen einer Kultur zu sehen, die dereinst (um nur einige wenige zu
nennen) Viktor Frankl, Hannah Arendt, Kurt Tucholsky, Heinrich Heine, Albert
Einstein, Maimonides und Noam Chomsky (selbst wenn manche von uns erst in
fünfzig Jahren erkennen werden, warum er auf diese Liste gehört) hervorgebracht hat. Wer Theorien
über großangelegte antisemitische Verschwörungen aufstellen möchte, könnte sich
schon mit den Menschen, die vorgeben, für uns alle zu sprechen, ganz schön
austoben!
Und trotzdem nehmen
wir es größtenteils widerstandslos hin, von diesen Leuten vertreten zu werden. Manche
von uns greifen sogar jeden an, der sie auch nur schonend kritisiert. Der Rest
hört, wie Foxman, Dershowitz, die israelische Regierung und ihresgleichen behaupten,
unsere Stellvertreter zu sein – wie sie gelegentlich sogar behaupten, es sei
antisemitisch, zwischen uns und unseren mutmaßlichen Vertretern zu unterscheiden
– und fragt, wieso wir immer für die Worte und Taten Israels und unserer anderen angeblichen
Vertreter mit in Sippenhaft genommen werden.
Auf die Kritik
erwidernd, seine vielen genialen Essays über die deutsche Richterschaft würden
die schlimmsten Richter zu Prototypen der ganzen Gruppe machen, sagte der
Satiriker und Essayist Kurt Tucholsky folgendes:
In meiner Arbeit steht nicht zu lesen, daß der niederste Typus einer Gruppe
ihr Vertreter ist; er ist es so wenig wie der höchste, den die Herren zu ihrem
Lob gern herangezogen haben möchten. Ich habe gesagt, daß der niederste Typus
charakteristisch für das Niveau einer Gruppe ist: jener Typus nämlich, den sie
grade noch ertragen kann. Beispiel:
Vergewaltigt ein deutscher Arzt eine minderjährige Patientin und sind
dieser Tatbestand und die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters einwandfrei
erwiesen, so wird die gesamte Ärzteschaft von dem Mann abrücken, mehr als das:
sie wird ihn aus ihren Reihen entfernen. Also ist dieser Typus der Gruppe nicht
aufs Konto zu setzen. Sie kann nichts dafür, daß er einmal in ihren Reihen
gewesen ist – sie erträgt ihn nicht, sie schließt ihn aus.
Läßt sich ein deutscher Richter materiell bestechen, so reagiert die Gruppe
sofort – alle Mitglieder werden den Mann ausgestoßen wissen wollen, das
ehrengerichtliche Verfahren wäre in diesem Fall nur noch eine Formalität. Also ist
der mit Geld bestochene Richter kein Prototyp des deutschen Richters.
[…]
Und solange die Gruppe der Richter nicht gegen diesen Typus demonstriert,
und sei es auch nur in einer ernsthaften Opposition, solange sich „die“ Richterschaft
in falsch verstandenem Kollegialitätsgefühl immer gegen den „Laien“ auf die
Seite des so überschätzten Fachmannes stellt -: so lange nenne ich einen
deutschen Richter einen deutschen Richter. Und ich möchte das so verstanden
wissen, wie es ein Proletarier versteht, der – den Bericht von
nationalsozialistischen Strafprozessen im Gedächtnis – vor diesen Talaren
steht.
Mit anderen Worten: Solange Angehörige einer Gruppe nicht deutlich von anderen Gruppenangehörigen abrücken, die sich eine gewisse Verhaltensweise zuschulden kommen lassen, kann der Außenstehende mit Fug davon ausgehen, daß die ganze Gruppe diese Verhaltensweise billigt (oder zumindest nicht ablehnt). Wenn keine öffentliche Verwerfung erfolgt, kann ein Palästinenser mit Fug davon ausgehen, daß z.B. Alan Dershowitz für uns alle spreche, wenn er die ethnischen Säuberungen gegen die Palästinenser als "moralische Frage fünfter Klasse" bezeichnet, oder daß Zipi Livni unsere Billigung genieße, wenn sie israelische Staatsbürger palästinensischer Herkunft mit der Vertreibung bedroht ("Ihr solltet eure Zukunft woanders suchen."). Es ließe sich dem theoretischen Palästinenser kein Vorwurf daraus machen, daß er von der Billigung der Gruppe ausgeht, wenn er sieht, wie Abe Foxman und die Anti-Defamation League im Auftrage der türkischen Regierung den Völkermord an den Armeniern leugnen, ohne daß dieses Verhalten auf Verwerfung stieße (oder auch nur bemerkt würde). Wenn wir uns nicht wirklich wünschen, daß solches Verhalten als repräsentativ für unsere Gemeinschaft aufgefaßt wird, müssen wir sofort klarstellen, daß der Täter auf eigene Faust handelt und uns dadurch mitnichten vertritt.
Die jüngsten
Ereignisse lassen darauf schließen, daß manche von uns Tucholskys Worte
beherzigt haben. Mit der israelischen Regierung und deren Apologeten sind wir
nicht auf Gedeih und Verderb verbunden, noch sollten wir uns aus einem falschen
Gefühl ethnischer Solidarität heraus verpflichtet fühlen, Worte zur
Verteidigung unverzeihbarer Taten zu verschwenden. Damit, daß wir israelische Verbrechen
und palästinensisches Leid verteidigen bzw. verleugnen, tun wir uns selbst
keinen Gefallen. Letzten Endes sagen wir der Welt nur, daß dies – sei es nun
der Angriff auf die wehrlose Bevölkerung Gazas, die ethnischen Säuberungen des
Jahres 1948, die Folter, die verschiedenen Angriffe auf den Libanon und andere
Länder – zu den Verhaltensweisen gehöre, die wir in unserer Gemeinschaft
ertragen. Indem wir solche Verbrechen verteidigen, sagen wir der Welt eigentlich,
daß diese unseren Mindeststandards für akzeptables Verhalten genügen.
Das unverzeihbare Verhalten unserer mutmaßlichen
Stellvertreter öffentlich zu verwerfen, ist unsere einzige Möglichkeit, zu
vermeiden, daß man uns selbst die Verantwortung dafür gibt. Es ist auch die
einzige Möglichkeit, im Nahen Osten Gerechtigkeit – ohne die jeder “Friede”
nur Gewalt mit anderen Mitteln ist – zu erreichen.