Honduras – Land ohne Neda

 

Neda heißt sie. Inzwischen kennen sie alle, und reden von ihr mit Vornamen, diesem Du der dritten Person. Wir alle haben dieses wunderschöne Foto von ihr gesehen, einer jungen iranischen Philosophiestudentin, die mit Tausenden und Abertausenden ihrer Landsleute der Repression eines autoritären Staates trotzte in der Überzeugung, daß es doch mal anders gehen kann. Ihre Familie trauert, und Europa und Amerika – die ihre Stadt so gern bombardieren möchten – trauern mit.

In Honduras haben die Toten keine Namen. Sie haben keine Gesichter, keine Lebensläufe, nichts, was auf ihre Eigenschaft als gleichwertige Menschen – als Menschen, mit denen wir uns identifizieren können und sollen – hinweisen könnte. Mindestens zwei Teilnehmer an der friedlichen Demonstration vor dem internationalen Flughafen der Landeshauptstadt Tegucigalpa sind von der honduranischen Armee in deren Überfall auf seine eigene Zivilbevölkerung getötet worden. Noch einer ist vor ein paar Tagen vor dem honduranischen Telekommunikationsbetrieb Hondutel von einem Fahzeug der Armee überfahren worden. In Honduras trauern derzeit viele – um ihre toten und verschollenen Freunde und Angehörigen, und um die im gewählten Staatspräsidenten Juan Manuel „Mel“ Zelaya verkörperte Hoffnung, daß es in ihrem Land – wo eine kleine Elite mit Duldung und Hilfe der Schutzmacht USA die arme Mehrheit seit eh und je unterdrückt – doch mal anders gehen könne. Aber sie trauern alleine.

Die Honduraner leben, kämpfen, leiden und sterben in der Anonymität.

Neda kennt die ganze Welt. Von den Toten in Honduras weiß die Welt nicht einmal, wieviele es gibt. Es erscheint eine Kurzmeldung über einen Staatsstreich in einem kleinen, unbekannten mittelamerikanischen Land. Die UNO, die Organisation Amerikanischer Staaten und nach anfänglichem Zögern sogar die US-Regierung verurteilen den Angriff auf die honduranische Demokratie, und damit ist das Thema durch. Die Menschen denken sich, daß Präsident Barack Hoffnungwandeleierkuchen Obama die Sache in die Hand genommen habe, und legen die Problematik ad acta. Wir hören und lesen die Worte, erfahren aber nichts über die Taten.

Trotz mäßiger Kritik am honduranischen Putsch gehen die Handelsbeziehungen Honduras-USA (70% des honduranischen Außenhandels) heiter weiter. Über die Einstellung der Waffenlieferungen an die honduranische Armee – ohne die der Militärputsch sofort scheitern würde –, so die US-Regierung, wird „nachgedacht“. Diese Schritte sollte die Welt genauso ernst nehmen wie es die honduranische Armee tut, nämlich gar nicht. Wenn die Armeeführung ernsthaft glaubte, daß der Putsch die Einstellung der Militärhilfe, von der sie komplett abhängig ist, zur Folge haben könnte, wäre es gar nicht erst zum Putsch gekommen. Ohne Waffenlieferungen aus der USA wäre das Scheitern der Golpistas eine Frage der Zeit – sind die Munitionen einmal alle, ist auch ihre einzige Machtquelle erschöpft.

Aber die honduranische Generalität bangt nicht um ihren Nachschub.  Wieso auch? Die USA haben überhaupt kein Interesse an der Wiederkehr Zelayas, der mit seiner unabhängig-nationalistischen Politik wichtige US-Interessen bedroht.

Und so wird das auch weitergehen, solange in Honduras weiterhin anonym gestorben wird.

Es kann sein, daß die Zivilbevölkerung und die Solidaritätsbewegung in Lateinamerika dem Putschregime den Garaus machen werden. Es kann sein, daß es in Honduras trotz allem doch mal anders geht. Anders als im Falle des Iran wären wir in der Lage, einen maßgeblichen Beitrag zu leisten, indem wir die US-Regierung zur Einstellung sämtlicher Waffenlieferungen und Auslandshilfe an das honduranische Putschregime auffordern.

Wenn wir selbst diesen geringen Energieaufwand scheuen, sind wir alle durch unsere Feigheit und Faulheit mitschuldig am Schicksal der mutigen Honduraner, die im Kampf für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit alles aufs Spiel setzen.