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Zensur: Dafür oder Antisemit?

Neulich erschien
in der Online-Frauenzeitschrift Aviva-Berlin ein Artikel (Sharon Adler,
„Antisemitische Realitäten im Deutschland von heute“), in dem es um die
Äußerungen des Sportwissenschaftlers Arnd Krüger zum Terroranschlag 1972 auf
die israelische Olympiamannschaft und die damit nicht zusammenhängenden
Äußerungen des Verfassungsrichters a.D. Wolfgang Hoffmann-Riem zum Thema
Holocaust-Leugnung ging.

Krüger hatte auf
einer Fachtagung einen Vortrag gehalten, in dem er u.a. behauptete, die Opfer
des Olympia-Attentats seien „freiwillig gestorben, um die Schuld Deutschlands
gegenüber dem Staat Israel zu verlängern.“

Hoffmann-Riem
hatte gemeint: „Ich würde als Gesetzgeber die Holocaust-Leugnung nicht unter
Strafe stellen“.

Adler bemängelt,
daß man Krüger unter Hinweis auf die akademische Freiheit nicht disziplinarisch
zur Verantwortung gezogen hat. Zum Olympia-Attentat 1972 kursieren sicherlich
genug Verschwörungstheorien. Man denke z.B. an die u.a. von Alan Dershowitz
behauptete Mittäterschaft Helmut Schmidts. Wie bei jeder Behauptung gibt es
hier zwei Möglichkeiten: richtig oder falsch. Ist die Behauptung nachweislich
richtig, kann man deren Urheber kaum ohne weiteres kritisieren. Ist sie redlich
geäußert worden, aber irrtümlich, ist sie unter Hinweis auf die wirkliche
Sachlage zu verwerfen. Handelt es sich bei der Behauptung – wie z.B. bei der
Schoa-Leugnung eines Ernst Zündels oder der von Joan Peters herbeigelogenen
Nichtexistenz der Palästinenser – nicht nur um eine unrichtige Behauptung,
sondern um vorsätzliche Geschichtsfälschung, so ist die Äußerung verwerflich;
dann gehört der Urheber samt seinen Behauptungen verworfen und vergessen. Mit
solchen Behauptungen brauchen sich vernünftige Menschen gar nicht erst zu
beschäftigen, es sei denn, sie sind (wie z.B. im Falle Peters) geeignet, den
politischen Umgang mit einer aktuellen Frage zu beeinflussen.

Als
„antisemitischer Ausfall“ bezeichnet Adler die Äußerung Hoffmann-Riems, er
würde als Gesetzgeber die Schoa-Leugnung nicht unter Strafe stellen, sowie
seine „ablehnende“ Haltung zum strafbewehrten Verbot der Verwendung von
Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Warum seine Äußerungen als
antisemitisch zu werten seien, offenbart Adler dem Leser nicht, und das ist
wirklich schade, denn, anders als Krügers Behauptung, erscheint das Etikett
„antisemitisch“ in diesem Fall ziemlich weit hergeholt. Allem Anschein nach
glaubt Adler, man könne nur dann sagen, eine Äußerung solle nicht mit einer
Strafe belegt werden, wenn man die Äußerung selbst inhaltlich befürworte. Das
ist selbstverständlich falsch. Zwar ist es kaum denkbar, daß jemand eine
Äußerung, mit der er einverstanden ist, bestraft wissen will. Der Umkehrschluß
– daß man alle Äußerungen, mit denen man selbst nicht einverstanden ist, unter
Strafe stellen wolle – ist jedoch einfach unvertretbar.

Zensur ist
Zensur, und zwar selbst dann, wenn nur Äußerungen, die man selber verachtet,
davon betroffen sind. Im Endeffekt also behauptet Adler, es gebe nur zwei
mögliche Einstellungen zur Zensurfrage: die befürwortende und die
antisemitische. Das ist eine Ungehörigkeit. Es gibt unter Juden keine „einzig
wahre Lehre“ zum Thema Zensur (ebensowenig wie wir in andern Sachen einer
Meinung sind). Die einen befürworten sie, die andern lehnen sie ab. War etwa
Kurt Tucholsky Antisemit, als er 1932 in einem Aufsatz gegen die Film- und
Rundfunkzensur meinte, man solle auch Hitler im Rundfunk zu Wort kommen lassen,
solange sich auch Thälmann melden dürfe („paritätisch gehts schon“)? Man
braucht selbstverständlich kein Antisemit zu sein, um die Zensur (selbst
antisemitischer Äußerungen) taktisch wie auch moralisch abzulehnen.

Moralisch gesehen
ist die Zensur Ausdruck eines alleinigen Wahrheitsanspruchs des Staates. Der
zensierende Staat darf über Wahrheit und Lüge frei verfügen. Was ihm irgendwie
nicht in den Kram paßt, zensiert er. Was ihm gefällt, darf jeder sagen. Die
Zensur mag auch mit den humanistischsten Begründungen versehen sein; im
Endeffekt geht es aber stehts um die Macht. Deshalb kann man entweder die
Zensur oder die Freiheit der Rede befürworten, nicht aber beide gleichzeitig.

Die Zensur ist
nicht nur demokratieverachtend, sondern auch noch kontraproduktiv. Nur der
Zensor selbst glaubt, mit der Zensur die Verwerflichkeit einer Äußerung
„bewiesen“ zu haben. In Wirklichkeit aber hat er deren Urheber die höchste
staatliche Auszeichnung verliehen. Indem man die Äußerungen eines Ernst Zündels
zensiert, stellt man ihn auf eine Stufe mit Carl v. Ossietzky und Kurt
Tucholsky. Noch schlimmer ist es, wenn man Lügenpropaganda zensiert, denn so
verwandeln sich geschriene Lügen in geflüsterte Wahrheiten und Lügner in
verfolgte Dissidenten. Aus Behauptungen, die keiner wirklichen inhaltlichen
Auseinandersetzung standhalten würden, werden so Glaubenssätze. „Wenn es
wirklich Schwachsinn ist, warum hat die Obrigkeit solche Angst davor?“

Die NSDAP und
deren Ersatzorganisationen, Schoa-Leugnung, Hakenkreuze, SS-Runen und
Volksverhetzung sind nach geltendem Recht strafbar. Wir können also bestimmt
ruhig davon ausgehen, daß diese Erscheinungen aus der Welt geschafft worden
sind, oder? Wer dem Glauben schenkt, sollte sich bei Gelegenheit ein bißchen
umsehen. Denn eins steht ein für allemal fest: Der Versuch, den Faschismus mit
repressiven Mitteln zu bekämpfen, ist gescheitert. Die Bundesregierung kriegt
es nicht mal hin, die offen neonazistische NPD zu verbieten, denn sie hat den
Überblick über ihre V-Leute verloren. „Ausländisch“ aussehende Menschen sind
nach wie vor rechtsextremer Gewalt ausgesetzt. Man hetzt offen gegen Muslime
(die einzige Art Rassismus, die heute noch salonfähig ist). Mit dem heutigen
strafrechtlichen Instrumentarium bekämpft man nur die Faschisten, die dumm
genug sind, um sich ertappen zu lassen.

Stünden wir dem
braunen Gesocks hilflos gegenüber, wenn wir die politisch-ideologische Zensur
abschaffen würden? Selbstverständlich nicht. Werden sie gewalttätig, so stehen
uns u.a. die Straftatbestände des Mordes (der um die Worte „aus Rassenhaß“
bereichert werden sollte), des Totschlags, der Körperverletzung, der Bildung
krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen, der Vergewaltigung und der
Brandstiftung zur Verfügung. Wenn sie ihre Propaganda verbreiten, sollen sie es
gefälligst öffentlich tun. Wo das Licht der Öffentlichkeit nicht hineingelangt,
gedeiht die Lüge. Wenn wir Faschisten und Rassisten aller Couleurs politisch
unschädlich machen wollen, sollten wir ihnen folglich die Freiheit gewähren,
sich öffentlich so zu blamieren wie sie es heute heimlich tun.

Eine Demokratie,
die ihre politischen Gegner verbietet, ist keine „wehrhafte“, sondern eine
faule Demokratie, denn sie sucht polizeiliche Lösungen für politische Probleme.
Wir wissen schon längst, unter welchen Bedingungen faschistisches und
rassistisches Gedankengut gedeiht: Verzweiflung, Armut, soziale Unsicherheit,
Arbeits- und Chancenlosigkeit. Es ist daher Aufgabe aller wahrhaft
demokratischen Kräfte der Gesellschaft, diese Erscheinungen mit allen Mitteln
zu bekämpfen.

Eine Demokratie,
die dem Faschismus keine bessere Alternative gegenüberzustellen vermag, ist gar
keine.