Einige Gedanken zum Aufsatz Schöner, neuer Faschismus von Michael Kraske
„Nationaldemokratie“, spottete ich, „was soll das sein? Nationalsozialistische Politik erfordert einen Demokratiebegriff, der sich nicht für die Namensgebung eignet. Wenn mit der Wahl des Führers die Demokratie beendet ist, rennen Sie immer noch mit der Demokratie im Namen herum! Wie dumm kann man eigentlich sein?“
– Timur Vermes, Er ist wieder da
Die faschistische Propaganda nimmt realexistierende Probleme, dichtet diese faktenunabhängig den Sündenböcken an, die gerade herumliegen, und gibt sich selbst als die Lösung aus. So ist der Faschismus der kapitalistischen Gesellschaftsordnung immer wieder zur Rettung geeilt, und deshalb ist eine vermeintlich antifaschistische Politik, die diese Gesellschaftsordnung nicht angreift, oder gar verteidigt, höchstens als Treibstoff für faschistische Bestrebungen geeignet.
Auf der Webseite des Freiraum-Verlags ist von Michael Kraske unlängst ein Aufsatz namens Schöner neuer Faschismus zum Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern erschienen, der diesen politischen Widerspruch getreu verkörpert.
Vorab: In Kraskes Aufsatz ist durchaus viel Gutes zu finden. Seine Analyse des Verhaltens und der programmatischen Einstellung der AfD ist sehr lesenswert, ebenso seine Abgrenzung zwischen AfD und Faschismus im eigentlichen Sinne. Insgesamt ist Schöner neuer Faschismus ein sehr lesenswerter Text. Meine Kritik gilt nur einem Teilaspekt des Aufsatzes, und zwar dem, in dem es um die Stichwörter „Demokratieverachtung“ und „die da oben“ geht. Auch gilt die nachfolgende Kritik keineswegs nur Kraske, denn das, was an seinem Text auszusetzen ist, ist im politischen Diskurs eigentlich gang und gäbe.
Bei Kraske wird das soziale und wirtschaftliche Elend, in dem in bestimmten Bevölkerungsteilen der Faschismus erst gedeihen kann, nicht geleugnet. Daß es sich dabei um das absehbare Ergebnis einer jahrelang – und auch heute noch – konsequent verfolgten neoliberalen Politik handelt, das erwähnt er nicht.
Daß zum Aufstieg der faschistoiden AfD Demokratieverachtung gehört, ist durchaus richtig, nur wird diese Demokratieverachtung nicht ganz richtig verortet. Die Demokratieverachtung will Kraske (und ja nicht nur Kraske) in den Äußerungen der AfD sehen, und dort ist sie auch durchaus zu finden. Dabei wird aber übersehen, dass seit geraumer Zeit ein zutiefst demokratieverachtendes Klima herrscht, und zwar ganz oben. Wenn nach einer von der Liberalisierung des Finanzwesens herbeigeführten Wirtschaftskrise eine totale Mobilmachung ausgerufen wird, um die für die Krise verantwortlichen Firmen auf Kosten der Krisenopfer zu rekapitalisieren, kann nur von Demokratieverachtung die Rede sein. Wenn der demokratische Wille der Mehrheit der griechischen Bevölkerung, sich kein Geld mehr zugunsten deutscher Konzerne vom Mund absparen zu wollen, einfach ignoriert wird, verrät die Oberschicht eine zutiefst menschen- und demokratieverachtende Grundeinstellung. Wenn die Hartz IV-Verarmungsgesetze der Mehrheitsmeinung entgegen nicht nur nicht aufgehoben, sondern in verfassungswidrigem Maße verschärft werden, sieht man, wie viel Wert auf demokratisches Staatshandeln an maßgeblicher Stelle eigentlich gelegt wird. Und wenn Staat und Medien auch noch Feindbilder und Sündenböcke am laufenden Band fertigen, um die eigene menschen- und demokratieverachtende Politik zu rechtfertigen, schaffen sie das Klima, das den Aufstieg einer AfD erst möglich macht. All das müsste in einem Text zur Rolle der Demokratieverachtung beim Aufstieg rechtsextremer Bewegungen richtigerweise vorkommen. Bei Kraske und den anderen Autoren, die den Rechtsextremismus ohne Systemkritik analysieren wollen, kommt all das aber gar nicht vor, und so kann diese Analyse nur ins Leere laufen.
Den Aufstieg der faschistoiden AfD bringt Kraske u.a. auf den Nenner „Demokratieverachtung“ und liegt damit auch nicht ganz falsch. Die Sache geht aber gründlich schief, als Kraske seinen Demokratiebegriff offenlegt.
Bei Kraske gelten allem Anschein nach alle Parlamentarier – zumindest der etablierten kapitalistischen Parteien wie Union, SPD usw. – pauschal als „Demokraten“, und zwar ohne jegliche Rücksicht darauf, was sie eigentlich für eine Politik machen. Angela Merkel nimmt Kraske in Schutz mit dem Verweis darauf, dass sie „demokratisch gewählt“ sei. Ja, sagt Kraske, es gebe durchaus Probleme mit Lobbyisten und so, aber das sei alles im Endeffekt doch nicht so doll, als dass man den demokratischen Charakter des Regimes insgesamt in Frage stellen könne.
Im Roman Er ist wieder da (und im gleichnamigen Film) lässt man den wiederauferstandenen Adolf Hitler sagen, nationalsozialistische Politik erfordere „einen Demokratiebegriff, der sich nicht für die Namensgebung eignet“, d.h. eine lexikosemantische Landschaft, in der „Demokrat“ ein Schimpfwort ist. Da drängt sich die Frage geradezu auf, wie so ein Demokratiebegriff überhaupt entstehen kann. Wie ist es überhaupt möglich, dass „Demokratie“, womit schließlich eine Gesellschaftsordnung gemeint ist, in der die Bevölkerung über ihr Geschick selbst entscheidet, zum Schimpfwort degradiert wird? Dazu müssen die gedanklichen Voraussetzungen bereits erfüllt sein.
Man stelle sich eine Gesellschaft vor, die im wahrsten Wortssinne demokratisch ist, in der alle die Politik mitbestimmen und ihre Interessen und Wertvorstellungen in der Politik auch wiedererkennen, in der sich deshalb auch alle einer anständigen Lebensqualität erfreuen, und in der alle auch recht zufrieden sind, weil sie sich auch bei Problemen unschwer Gehör und Abhilfe verschaffen können. in dieser Gesellschaft, die sich mit Fug und Recht demokratisch nennt, kommt einer daher und sagt Demokratie ist Scheiße! Sie gehört abgeschafft! Seine Bemühungen wären wohl nicht gerade mit Erfolg gekrönt.
Damit man mit solchen Parolen punkten kann, bedarf es einer totalen Aushebelung des Demokratiebegriffs, eines unübersehbaren Demokratiedefizits. Im Fazit bedarf es einer spürbar undemokratischen Gesellschaftsordnung, die sich Demokratie schimpft.
Genau dieser Demokratiebegriff entspricht dem üblichen Sprachgebrauch in Politik und Medien, und von Michael Kraske wird er auch nicht in Frage gestellt. Dieser armselige Demokratiebegriff, wo alle, die keine Nazis (oder weder Nazis noch Antikapitalisten) sind, als Demokraten durchgehen können, wo eine demokratische Politik eben eines ist, die auf verfassungskonformem Wege entsteht. So kann Kraske – und mit ihm viele andern auch – Angela Merkel als „demokratisch gewählte“ Kanzlerin bezeichnen, obwohl weder sie noch ihre Partei eine demokratische Mehrheit genießen (41,5 % der Stimmen, 29,6 % der Wahlberechtigten) und allein ihre Stellung als Kanzlerin bzw. Regierungspartei Koalitionsverhandlungen zu verdanken haben, die keiner demokratischen Einflussnahme zugänglich sind. „Demokratisch“ ist in diesem Sinne alles, was rechtmäßig abläuft.
Diesem Demokratiebegriff zufolge sitzen in den Parlamenten lauter Demokraten. Das weiß er auch ohne inhaltliche Prüfung ihrer Politik, denn für diesen Demokratiebegriff kommt es auf den (un-) demokratischen Charakter der politischen Inhalte gar nicht an. „Demokratie“ als reine Verfahrensordnung ist das. Damit hat die realexistierende kapitalistische Demokratie einen Demokratiebegriff ins Leben gerufen, auf dem jeder Faschist eine Symphonie spielen kann.
Ähnlich verhält es sich mit der Demokratieverachtung. Auch die braucht der Faschismus nicht erst mitzubringen, sondern bekommt sie von einer Politik frei Haus geliefert, die alles, was sie anstellt, als höchsten Ausdruck der Demokratie lobpreist.
Der kapitalistische Demokratiebegriff hat nämlich seine Grenzen. Sind diese Grenzen einmal erreicht, so steht die Gesellschaft vor der Wahl: Kapitalismus oder Demokratie. Die in ihrem festgefügten Weltbild verfangene kapitalistische Politik ist aber gar nicht in der Lage, offen zu gestehen, dass sie diese Grenze erreicht hat, will sie doch ums Verrecken nicht wahrhaben, dass es diese Grenze überhaupt gibt. Da kriecht sie der Kapitalistenklasse also immer weiter in den Arsch, ganz egal, was die Wählerschaft davon hält, und kommt sich dabei vor wie das Demokratischste, was es überhaupt nur geben kann. Und im Kapitalismus ist sie das auch.
Der Faschismus braucht gar nicht erst tätig zu werden, damit ein Demokratiebegriff entsteht, der sich nicht für die Namensgebung eignet. Er braucht nur abzuwarten; früher oder später tut der Kapitalismus das seine.
Die von Kraske erwähnte Wut auf „die da oben“ ist nicht das Problem, sondern lediglich eine Begleiterscheinung der Erkenntnis, dass man Wirtschaft wie Politik scheißegal ist. Wenn man durch den Abbau der bitter erkämpften Errungenschaften der Arbeiterbewegung – Kündigungsschutz, anständige Altersvorsorge, Löhne und Sozialleistungen, von denen man leben kann u.v.a.m. – immer ärmer wird und einem von der Politik bestenfalls eine Zuspitzung des Elends in Aussicht gestellt wird, kann man entweder verzweifeln oder eben stinksauer auf die werden, die einen vorgeblich vertreten. je nach dem, was sich an Alternativen gerade anbietet, eignet sich diese Wut genauso gut für einen radikaldemokratischen Aufstand wie für einen Pogrom. Staat und Medien bieten Feindbilder an – Geflüchtete, Muslime, Migranten, Arbeitslose, Menschen mit Behinderungen, den Feminismus, das „Gutmenschentum“ – um notleidende Menschen gegeneinander auszuspielen. Wer trotz Armut und Arbeitslosigkeit immer noch relativ privilegiert ist, wird diese Feindbilder – die zu seiner Stellung als Privilegierter unter den armen Säuen beitragen – erst hinterfragen, wenn sich eine Alternative anbietet, die seine beschissene Lage schlüssig erklärt und einen plausiblen Ausweg bietet.
Genau dazu ist eine kapitalistische Gesellschaftsordnung aber nicht in der Lage. Stattdessen spart sie dem kategorischen Imperativ des Kapitalismus zuliebe bei denen, die es sich am wenigsten leisten können, und schützt sich vor der Reaktion der Benachteiligten mit Feindbildern und Grundrechtseinschränkungen. Ja, ja, wir würden so gern was gegen die Armut tun, aber wir müssen die Flüchtlinge versorgen/ aber es gibt ja diese muslimische Weltverschwörung und wir müssen uns wehren/ aber der Afghane macht uns den Hindukusch strittig. Alles, aber auch wirklich alles, um nicht sagen zu müssen: Aber dazu müssten die Reichen Steuern zahlen, und das wollen sie halt nicht.
Da bedarf es keiner besonderen erfinderischen Tätigkeit seitens des Faschismus. Die faschistische Propaganda übernimmt diese bereits verankerten Lügen und gibt sie in zugespitzter Form wieder und sich selber als die Lösung aus.
Aber selbst die ausgeklügeltste Propaganda vermag dem Obdachlosen nicht vorzumachen, dass er in einer Eigentumswohnung in der Rosenthaler Str. wohne. Einem verhungernden Menschen kann man noch so viele schöne Fotos von seinen Leibspeisen zeigen, satt wird er davon nicht. Staat und Medien erzählen diesem Menschen, das, was er durchmacht, sei die Demokratie und habe alles seine freiheitlich-demokratische Richtigkeit.
Der Faschismus sagt dazu: Stimmt! Das ist Demokratie! Und wenn die erst weg ist, wird’s dir endlich besser gehen.
Und dann kommt so ein Kraske (oder einer der vielen andern) daher und versucht die Adressaten der faschistischen Propaganda für diese „Demokratie“ zu gewinnen, die sie verarmen lässt. Wen wundert’s, dass die Nummer nichts bringt?
Selbst die verlogenste Propaganda nimmt sich gern und oft etwas nachweislich Wahres als Rohstoff, um überzeugend lügen zu können. Am wirksamsten ist sie, wenn sie die realexistierenden Probleme des Adressatenkreises, v.a. die, die von der Politik gern geleugnet oder bagatellisiert werden, anerkennt, und diese echten Probleme mit falschen Ursachen und Lösungsvorschlägen versieht.
Bei Parteien wie der AfD geht es in der Propaganda zu einem Großteil um das realexistierende, spürbare Demokratiedefizit. Wer gegen diese Propaganda ankommen will, darf dieses Demokratiedefizit allein schon der eigenen Glaubwürdigkeit zuliebe nicht leugnen, sondern muss den Scheinlösungen des Faschismus echte Lösungen und eine echte Kritik am bestehenden System gegenüberstellen.
Ein systemkonformer Antifaschismus ist gar keiner.