Lob der Innovation

An dieser Stelle möchte ich mal ein Loblied auf den politischen Innovationsstandort Deutschland singen. Paradoxa, vor denen man anderswo schreiend flüchtet, werden in der BRD freundlich umarmt. Dort kapitulieren die eisernen Gesetze der Logik vor der Akrobatik der Gehirnzellen. „Nichts ist unmöglich“ lautet die Devise.

Wußten Sie z.B., daß man den Imperialismus, den Militarismus, den Nationalismus und den Rassismus befürworten und dabei links sein kann? Echt! Ich hab’s gesehen!

Patentinhaber dieser erstaunlichen Erfindung sind die sog. „Antideutschen“. Antideutsche sind Deutsche, die für den Irak-Krieg, den Afghanistan-Krieg, und überhaupt für alles sind, was die Amis sonst noch an Kriegen auf den Markt bringen werden. Sie sind für die Entislamisierung nicht nur Europas, sondern auch der islamischen Welt. Sie lieben den Nationalismus – zumindest den amerikanischen und den israelischen. Und das sind Linke, „Linksextremisten“ sogar!

Sagen jedenfalls die Freunde und Helfer vom Verfassungsschutz (woran man nebenbei bemerkt unschwer erkennt, wie die erst drauf sind).

Ich ahne schon, was Sie jetzt denken. „Das kann doch nicht sein – wie kann man als Linker für das Gegenteil von allem eintreten, wofür die Linke eigentlich ist?“ Und da muß ich aber wirklich bitten. In einer politischen Landschaft, wo sich die Partei des realexistierenden Neoliberalismus „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ nennt, sollte man sich doch längst auf ganz andre Sachen gefaßt gemacht haben!

Man kann diese Organisationen doch nicht inhaltlich beurteilen, also hören Sie damit auf. Sie müssen mehr Oberflächlichkeit wagen. Nomen est doch immer noch omen, oder etwa nicht? Die SPD nennt sich „sozialdemokratisch“, also isse dat ooch! Was im Programm steht, ist scheißegal, also kucken Sie da gar nicht erst hin. Und wenn sich stramm nationalmilitaristische Gesellen gerne „links“ nennen, sollten wir’s ihnen doch gönnen. Links des Verfassungsschutzes sind sie allemal!

Ich weiß, daß die neue Welle – la nouvelle superficialité – manchen Schwierigkeiten bereitet. In diesem Zeitalter hab ich’s auch nicht gerade leicht.

Als ich mich zum ersten Mal mit den Antideutschen befaßt habe, bin ich auch mit falschen Ansätzen rangegangen. Es ist in der Tat so, daß die anders einzuordnen wären, wenn’s nach inhaltlichen Gesichtspunkten ginge. Da könnte man sogar den Eindruck gewinnen, daß das Kameradschaften für Leute sind, die die Haare lieber etwas länger tragen, und die sich auch nicht völlig bekloppt anziehen wollen. Eine NPD für Mehrsilbenfähige halt.

Es gibt aber auch Unterschiede, das ist klar. Bei den Normalneonazis ist es Mode, Palästina-Solidarität zu heucheln, und dabei etwaige in der BRD lebende Palästinenser zusammenzuschlagen. Die Antideutschen hingegen wollen Araber in Europa zusammenklatschen und im Nahen Osten kaputtschießen. Das nennt man Konsequenz.

Da sie auch geistig etwas präsenter sind als ihre kurzhaarigen Mitstreiter, packen die Antideutschen auch andere Probleme viel differenzierter an. Sie lehnen z.B. den altbackenen Dumpfbackenantisemitismus der Bomberjackenkameraden ab. Mit diesen Grabschändungen hat der geistig hochgerüstete Antideutsche nichts am Hut. Das ist nämlich kurzfristiges Denken. Die Antideutschen wissen, daß man sich die Werkzeuge der Globalisierung zunutze machen muß. Warum sollte man die wenigen derzeit vorhandenen jüdischen Grabstätten schänden, wenn man den Nahostkonflikt gezielt anheizen kann? Das ist Endlösungs-Outsourcing. Wenn man mit den Grabschändungen wartet, bis wir Juden erst mal alle schön verbuddelt sind, wird es für alle genügend schändbare Gräber geben. Bedarf steigern und dann befriedigen – so schafft man Arbeitsplätze!

Aber da beschäftige ich mich schon wieder mit Inhalten. Muß ich mir mal dringend abgewöhnen. Aber was soll’s, schließlich habe ich mich immer noch nicht dran gewöhnt, daß man heute nicht mehr mit D-Mark rechnet. Ich merke schon, daß es wohl etwas länger dauern wird, bis ich mich mit der Existenz der neuen RAF (Rechtes-Arschloch-Fraktion) so richtig anfreunden kann.

11 comments ↓

#1 Natas on 12.16.09 at 11:50

Hey Elise,
du schaffst es doch immer wieder Kritik so zu verpacken das ich mich genuesslich drueber amuesieren kann. Weiter so bitte ich freu mich schon auf den naexten Artikel.

bis denne freie Gruesse
Natas

#2 Tugendsuende on 01.07.10 at 13:01

<p>Hach, das ist einfach herrlich zu lesen. So amüsant und doch so wahr. Vielen Dank!</p>

#3 LNS on 01.07.10 at 14:53

<p>Leider geht dieser Artikel in seiner Qualität nicht über das Niveau der einzig benannten Quelle, dem Bericht des Verfassungsschutzes, hinaus. Dass halbwegs prominente Antideutsche genau so wenig zitiert oder kritisiert werden, wie als antideutsch geltende Magazine, lässt darauf schlieÃ

#4 c. on 01.07.10 at 16:47

<p>Endlösungs-Outsourcing? gehts noch?dieser beitrag beinhaltet in meinen augen leider zu viele überdrehte (kurz)schlüsse. eventuell wurden da zu viele "gedankenfetzchen" zusammengewürfelt. wenn schon eine derartige kritik des "antideutschen" aufgefahren werden soll, dann doch gerne auch konkret. aber vergleiche von komplexem mit komplex-dummen sind natürlich handhabbarer; insbesondere um selbst immer wieder sicher zu gehen zum guten teil der gesellschaft, irgendwo in der mitte zu gehören, wo es "extreme" ja nicht geben kann und sich imperialismus, militarismus, nationalismus, rassismus und sexismus gut codiert und gemäÃ

#5 Élise Hendrick on 01.07.10 at 22:18

<p>Zu den beiden kritischen Kommentaren:</p>
<p>Erstens ist zu beachten, daÃ

#6 Élise Hendrick on 01.07.10 at 22:47

<p>Erstens: Ich merke, dass die beiden kritischen Kommentare in der Mitte abgeschnitten worden sind. Es handelt sich um ein Problem, das irgendwie mit Umlauten und Sonderzeichen zusammenhaengt. Ich dachte, durch die neue Vorlage waere das Problem aus der Welt zu schaffen, aber irgendwie hat es nicht geklappt. </p>
<p>Das war also keine Absicht, und wenn ihr eure Kommentare nochmal (ohne Umlaute und Sonderzeichen) eingeben wollt, werde ich sie in voller Laenge veroeffentlichen. </p>
<p>(Und wenn jemand weiss, woran das liegt und wie das zu beheben ist, wuerde ich jeden sachdienlichen Hinweis sehr begruessen).</p>
<p>Zur Sache: Erstens handelt es sich bei diesem Beitrag um SATIRE. Da gehoeren Zuspitzungen einfach dazu. Wer einen satirischen Text woertlich nimmt, hat ihn ueberhaupt nicht begriffen.</p>
<p>Zweitens: Ich gebe die VS-Darstellung durchaus nicht unkritisch wieder, sondern mache mich sogar darueber lustig, dass der VS so rechtslastig drauf ist, dass selbst Antideutsche als links(-extrem) gelten. Das ist natuerlich voelliger Schwachsinn.</p>
<p>Drittens: Meine Kritik beruht vor allem auf eigenen Erfahrungen, die ich mit ADs gemacht habe. Ihr eigentliches Judenbild wird sehr schnell klar, wenn sie sich (wohl zum allerersten Male!) mit einer richtigen Juedin leibhaftig konfrontiert sehen.</p>
<p>Juden sind fuer sie nichts als Objekte. Uns wird eine klare Rolle (die des passiven Opfers und Schuetzlings) zugewiesen, und wer aus der Rolle faellt, wird bestraft. Die antisemitischen Hasskanonaden, mit denen sie Juden angreifen, die nicht in ihr festgefuegtes Weltbild passen, sind da sehr bezeichnend. </p>
<p>Ebenfalls bezeichnend ist, dass bei denen das Judentum immer vorkommt, wenn ueber den Kasinokapitalismus geredet wird. Nach ihrer Darstellungen nehmen sie uns in Schutz, aber in Wirklichkeit werden durch diese immer wieder anzutreffende (und voellig verlogene) Assoziation nur ihre eigenen Vorurteile entbloesst. Eine reine, sachliche, linke Kritik am Spekulantentum kann nur dann als antisemitisch gelten, wenn man das Judentum mit den Nazis als "Spekulantenvolk" betrachtet. Das scheint bei vielen ADs der Fall zu sein.</p>
<p>In ihrem geschlossenen Weltbild gelten wir als Beweismittel. Wir existieren nur, um von anderen dargestellt zu werden, die sich zu unseren Schuetzern hochstilisieren. Solange wir das mit uns machen lassen, ist alles OK. Sobald man als Jude oder Juedin mit eigenen Ansichten auftritt, die denen der ADs widersprechen, sind wir genauso Freiwild wie bei den vermeintlichen Gegnern dieser Zeitgenossen. Richtige, lebendige Juden aus Fleisch und Blut beeintraechtigen nur ihre verlogene Selbstdarstellung. </p>
<p>Zu "Endloesungs-Outsourcing": Das ist natuerlich eine Zuspitzung. Es geht darum, die permanente Scharfmacherei und die pauschale Gleichsetzung des Judentums mit der extremsten militaristischen Politik Israels, die man bei den ADs immer wieder antrifft, zu Ende zu denken. Solche "Schuetzer" sind fuer das Judentum eine viel groessere Gefahr als Hundert schlecht konstruierte Qassam-Raketen.</p>
<p>Mit ihrem Schwachsinn steigern sie (in manchen Faellen vielleicht auch unbewusst) den Antisemitismus und heizen einen Konflikt an, der sie eigentlich gar nicht interessiert. Entweder sind sie dumm wie Konsumbrot, oder sie wissen, worauf das hinauslaeuft.</p>

#7 c. on 01.07.10 at 23:52

<p>schade, dass du den in meinen augen einzig haltbaren kritikpunkt erst in einem kommentar nennst: die von mir nun vollkommen plump herunter gebrochene gedankengleichung antikapitalismus = antisemitismus, die über das von dir genannte scharnier des "spekulantenvolk" (also der vollkommen irrsinnige trennung von schaffendem und raffendem kapital, in der ideologie also guten und schlechtem kapital) funktioniert und somit auch in meines erachtens eben die angesprochenen bzw. die über die jahrhunderte angewachsenen ressentiments warm haelt. leider…<br />
die anderen punkte greifst du allerdings nicht genauer auf. auch in keinersterweise in form von zitaten, wie linus neumann das auch berechtigt kritisiert.<br />
im uebrigen bin ich seit langer zeit begeisterte leserin der titanic (<a href="http://www.titanic-magazin.de/&quot; title="http://www.titanic-magazin.de/&quot; target="_blank">http://www.titanic-magazin.de/</a&gt;): das ist in meinen augen satire. dein beitrag ist leider nur von polemik ueberladen.</p>

#8 Élise Hendrick on 01.08.10 at 00:10

<p>Hier muss man zunaechst einmal zwei Sachen auseinanderhalten. Es ist eine Sache, zwischen Spekulieren und Anlegen zu unterscheiden (das tun auch alle serioesen Oekonomen), und eine voellig andere Sache, das eine als "schlechtes", das andere als "gutes" Kapital zu bezeichnen.</p>
<p>Die Unterscheidung hat die NSDAP – wie so viele andere Sachen – von den Kommunisten geklaut und verzerrt dargestellt, um sie ihren eigenen – mit dem Kapitalismus durchaus vereinbaren – Zielen zunutze zu machen. </p>
<p>Wenn man die Spekulation verbietet, wie es die Faschisten auch ziemlich konsequent getan haben, hat man immer noch Kapitalismus mit all seinen Widerspruechen und Ungerechtigkeiten. Es ist dann nur ein Kapitalismus mit staerkerer realwirtschaftlicher Bindung und etwas weniger kurzfristigen Schwankungen. </p>
<p>Die Spekulation sollte kritisiert und bekaempft werden, weil es sich dabei um ein Merkmal des realexistierenden Kapitalismus handelt, das die Lage der grossen Mehrheit noch prekaerer macht. Wenn man stattdessen behauptet, jede Kritik an der Spekulation sei antisemitisch, outet man sich nicht nur als Antisemit, sondern als Volltrottel, denn so wird ein wichtiges Thema den Nazis zum Verzerren und Verwerten ueberlassen. </p>
<p>Wie soll man jetzt Satire machen, ohne zugleich zu polemisieren? Satire ist schon definitionsgemaess polemisch. Es geht darum, Zustaende und Ideologien zugespitzt darzustellen, um sie dadurch zu entbloessen. Eine unpolemische Satire ist ungefaehr so unsinnig wie ein "Linker", der den israelischen Militarismus in Schutz nimmt.</p>

#9 c. on 01.08.10 at 14:25

<p>polemik ist ein (bestand)teil der satire. letztere geht aber, wenn sie satire sein will, darueber hinaus; sie bedient sich an der polemik. im alltag muendet polemik aber auch oft in unfreiwilliger "realsatire"…<br />
deine kurzen ausfuehrungen zum "spekulieren" finde ich weitaus interessanter als der abriss an einseitigkeit(en) (vgl. polemik) im eigentlichen beitrag.</p>

#10 Élise Hendrick on 01.08.10 at 21:50

<p>@C: Die genauen Mischungsverhaeltnisse werden wohl immer von der Person abhaengen. Ich habe jedoch auch einen Text anderer Art zu einem Aspekt des Themas verfasst ("Der masturbatorische Philosemitismus"), in dem auch Zitate, die ihr beiden an diesem Text vermisst, zur Fuelle vorhanden sind.</p>

#11 sianasta on 01.18.10 at 21:11

Hallo Élise, ich bin erst über die Nominierung bei der Mädchenmannschaft auf Dein Blog gestoßen – und was habe ich gelacht. Bis vorhin war ich noch Annalists Meinung, dass es keine guten Blogs von Frauen gäbe. Du hast mich eines besseren belehrt. Vielen Dank – meine Stimme kriegst Du!